Präzisionsonkologie – Was ist das?
Veränderungen der DNA in Zellen sind die Grundlage der Krebsentstehung. Betreffen diese sogenannten Mutationen DNA-Informationsabschnitte, also Gene, die normalerweise das Zellwachstum kontrollieren, und werden diese Zellen nicht rechtzeitig vom Körper eliminiert, können sie sich unkontrolliert vermehren oder sogar weiter im Organismus absiedeln und Metastasen bilden.
In bösartigen Tumoren liegen oftmals mehrere dieser Genmutationen zeitgleich vor. Und da mehrere Hundert für die Wachstumskontrolle vorhandene Gene existieren, gibt es natürlich zahlreiche Mutations-Kombinationen.
Das Interessante hieran ist, dass Personen, trotz unterschiedlicher Genmutationen, im gleichen Organ, zum Beispiel der Brust, einen Tumor entwickeln können. Wiederum aber auch gleiche Genmutationen bei unterschiedlichen Personen zu Krebs in verschiedenen Geweben, beispielsweise einmal der Brust und einmal der Lunge, führen können.
Dieses Wissen um diese sogenannten „Treibermutationen“ führt zu einem Paradigmenwechsel in der Medizin, insbesondere in der Krebstherapie. Zunehmend soll Krebs als eine Erkrankung der Gene statt eines spezifischen Organs betrachtet und auf dieser Grundlage auch bei der Therapie das „Eine für Alle“-Prinzip verlassen und möglichst individualisiert behandelt werden. Ganz gemäß dem Credo: „Jeder Tumor ist einzigartig“.
Neue Chancen für Patient:innen mit Lungenkrebs
In Deutschland ist Lungenkrebs mit derzeit rund 60.000 Neuerkrankungen pro Jahr bei Männern die zweit-, bei Frauen die dritt-häufigste Krebsart und sogar die häufigste bzw. zweithäufigste Krebstodesursache. Das ist mitunter der Tatsache geschuldet, dass Symptome erst spät auftreten und somit bei Erstdiagnose die Erkrankung oftmals schon weit fortgeschritten ist: In ca. 15% der Fälle lokal fortgeschritten und in ca. 40% der Fälle sogar mit Vorliegen von Fernmetastasen und somit inoperabel.
Der größte Risikofaktor ist nach wie vor das Rauchen – aktiv oder passiv – neben beispielsweise Exposition gegenüber Asbest, weiteren Kanzerogenen und ionisierender Strahlung. Betroffene erhalten eine Ausbreitungsdiagnostik mittels Bildgebenden Verfahren wie CT, MRT, Sonographie, Szintigrafie oder PET-CT. Besonders wichtig ist aber auch die pathologische Aufarbeitung des Tumorgewebes selbst, das durch Bronchoskopie mit Punktion mediastinaler Lymphknoten, transthorakaler Biopsie oder gegebenenfalls aber auch thoraxchirurgisch gewonnen wird.
Die Tumorzellen werden einerseits auf Ihren Typus – unter anderem kleinzellig (SCLC) versus nicht-kleinzellig (NSCLC) und mit weiterer Subtypisierung – und insbesondere nichtkleinzellige Bronchialkarzinome zusätzlich auch immunhistochemisch auf das Vorhandensein bestimmter Oberflächenmerkmale wie PD-L1 und molekularpathologische auf das Vorliegen von molekularen Veränderungen hin untersucht.
Diese Tumorcharakterisierung bildet die Grundlage dafür, Betroffenen mit nicht-kurativ behandelbarem Lungenkrebs eine möglichst zielgerichtete und somit effiziente Therapie anbieten zu können und hat die Behandlung des Lungenkarzinoms, allen voran des nichtkleinzelligen Adenokarzinoms, revolutioniert.
Neue Chancen für Patient:innen mit Brustkrebs
Brustkrebs ist in Deutschland die Krebsart, an der Frauen am häufigsten erkranken: er betrifft in etwa jede 8. im Verlauf ihres Lebens. Natürlich kann auch die männliche Brust an Krebs erkranken, aber das ist wesentlich seltener. Um den Betroffenen eine möglichst wirksame Behandlung des Tumors zu ermöglichen und auch um das Risiko für ein Wiederauftreten zu senken, stehen derzeit verschiedene Medikamente zur Verfügung. Dies sind mitunter sogenannte zielgerichtete Therapeutika, die sich – vor allem im Gegensatz zu klassischen Chemotherapien – gegen spezifische Strukturen der Krebszellen richten, damit diese bekämpft werden und gesunde Zellen des Organismus dabei aber nach Möglichkeit verschont bleiben.
Für die Wahl des richtigen therapeutischen Vorgehens sind neben der histologischen Sicherung der Diagnose und der Ausbreitungsdiagnostik beim invasiven Mammakarzinom auch eine Reihe von Tumortestungen entscheidend. Diese zusätzlichen Informationen erlauben nicht nur eine bessere Einschätzung des Krankheitsverlaufs und somit der Prognose, sondern bilden vor allem auch die Grundlage dafür, dass jedes Individuum bestmöglich personalisiert behandelt werden kann. Das ist wirksamer und spart kostbare Zeit, vermeidet unnötige Nebenwirkungen und schont dadurch Kräfte und am Ende spart all das auch Ressourcen.
Für die molekularbiologischen Spezifizierungen wird bei invasiven Mammakarzinomen das in Biopsien oder Operationen entnommene Gewebe histologisch, immunhistochemisch und molekulargenetisch mittels In-situ-Hybridisierung untersucht. Letztere beiden dienen dem Nachweis gewisser Oberflächenmerkmale und genetischer Veränderungen. Sind diese aufgeschlüsselt, entsteht eine Art personenbezogenes Tumorprofil. Vorrangig wird nach Charakteristika Ausschau gehalten, aus denen Rückschlüsse für den weiteren Behandlungspfad gezogen werden können.
Darüber hinaus gibt es mehrere sogenannte Genexpressionstests, die bei der Prognoseabschätzung und somit auch der Therapiewahl weiterhelfen. Man unterscheidet zwischen prognostischen und prädiktiven Tests: Erstere beziehen sich auf den natürlichen Verlauf der Erkrankung im Sinne von Rückfällen, Voranschreiten oder Tod, ganz unabhängig von der erhaltenen Behandlung. Zweitere sagen den Effekt einer Chemotherapie auf den natürlichen Verlauf der Erkrankung voraus.
Die Kosten für die Durchführung werden in der Regel durch die Krankenkassen getragen, zumindest dann, wenn der Nutzen einer zusätzlichen Chemotherapie nicht anhand der üblichen klinischen und histopathologischen Befunde bewertet werden kann. Ob solch ein Test gemacht wird, sollte möglichst zeitnah festgelegt werden, um die wichtige Information schon früh im interdisziplinären Tumorboard mit in die Entscheidungsfindung einbeziehen zu können.